1. Du hast bereits ein Studienjahr in New York verbracht. Wie hat die Stadtdeine Arbeit und deinen Werdegang als junge Künstlerin beeinflusst? Welche interessanten Entdeckungen hast du in der Stadt gemacht – damals und bei deinem jetzigen Aufenthalt hier?
New York bedeutet mir sehr viel. Ich habe das Jahr als ein sehr bewusst durchlebtes empfunden. Für mich war es der richtige Ort zur richtigen Zeit. Im weitesten Sinn habe ich gelernt mich zu ‘artikulieren’: mehr Worte und mir-richtig-erscheinende Worte zu finden, um zu kontextualisieren, was mich seit jeher beschäftigt. Mir wurde hier ermöglicht fächerübergreifend zu studieren: an der New School for Social Research habe ich geisteswissenschaftliche Fächer belegt, keine gestalterischen. Das war für eine Art ideengeschichtliche Auseinandersetzung sehr wichtig. Es hat sich eine Grundlage gebildet, aber es wurde auch sehr viel an- und aufgerissen. Neben all den kleineren Entdeckungen, die man in dieser Stadt macht, begleitet mich nach wie vor die Erinnerung an ein ganz eigenes Lebensgefühl, was sich hier scheinbar wie von ganz alleine bildet. Man kommt sofort an – wird aber auch tagtäglich mit einer Art Armut konfrontiert, die man aus mehr oder weniger gut funktionierenden Wohlfahrtsstaaten nicht kennt.
2. Könntest du uns etwas über deinen kreativen Prozess und deine Arbeitsroutine erzählen? Wann und wo arbeitest du am liebsten?
Meine Arbeitsroutine hat sich stark verändert seitdem ich nicht mehr Studentin bin: Die Zeit muss zwischen vielen Notwendigkeiten und Plänen geteilt werden. Dennoch gibt es eine Art roten Faden. Eigentlich passiert nichts ohne ausgiebige Recherche am Anfang – dieses recherchieren, filtern und aussortieren ist bereits Teil des ‘kreativen Prozesses’ beziehungsweise überhaupt schon der kreative Prozess – er ist ohne Frage selber auch ‘gestaltet’. Es wird mit der Zeit und den sich ergebenden Aufgaben immer klarer nach was ich eigentlich suche. Jeder Zettel ist eine Art Beiprodukt aus dem sich etwas schält. Es muss nicht immer der Punkt kommen (und insbesondere kommt er leider nicht immer zur ‘richtigen’ Zeit) an dem sich die Teile so zusammenfügen, dass es ganz klar wird, was zu sagen ist, aber manchmal passiert es doch. Ich lasse mich immer stark auf Zufälle ein (die so zufällig vielleicht gar nicht sind) und erwarte eigentlich zu anfangs meist nicht viel. Oft ist es so, dass sich während der Arbeit an einer Sache bereits wieder Grundlagen für neue Arbeiten bilden. Jedes Projekt als ganzes ist also auch wiederum Beiprodukt aus einem anderen. Es gibt Arbeiten, die ich über längere Zeit reifen lassen muss – so wie beispielsweise das Projekt was gerade im Deutschen Haus zu sehen ist und was ich auch immer noch als unfertig betrachte – andere sind eher Momentaufnahmen, auch schnelle schriftliche, die genau dann abbrechen, wenn ich sie irgendwie festgehalten habe. Manchmal auch schon davor: es ist nicht selten, dass sie sich bloß als Gedanken bereits erledigt haben.
3. Du bist noch sehr jung. An welchem Punkt hast du beschlossen, Künstlerin zu werden?
So richtig habe ich mich eigentlich nie dazu entschlossen. Ich habe auch Probleme mit dieser Bezeichnung. Für mich ist das, was man unter Umständen “meine Kunst” nennen kann einfach etwas das passiert, weil ich nun einmal hier bin und vielleicht auch mit einem bestimmten Ballast auf die Welt gekommen bin. In gewisser Weise arbeite ich mich also ab. Es kann sein, dass das vielleicht irgendwann nicht mehr nötig sein wird. Oder ich die Notwendigkeit danach nicht mehr spüre. Ich würde es schrecklich finden, wenn man sich gezwungen sehen würde dann damit weitermachen zu müssen, nur weil man angeblich “Künstler/in” ist.
4. Deine Mutter war als junge Frau ein Jahr lang Gefangene in Hoheneck. War es für dich wichtig, ihre Zeit im Gefängnis künstlerisch aufzuarbeiten? Hat dieses Thema immer eine große Rolle in deiner Familie gespielt und somit auch deine eigene Lebensgeschichte beeinflusst?
Dieses Jahr im Leben meiner Mutter gehört sicher auch zu dem Ballast, von dem ich in der vorherigen Frage gesprochen habe. Natürlich hätte ich diese Arbeit auch einfach für mich behalten können. Was mir sicher sehr viele Gedanken darüber erspart hätte, ob ich nicht mit dieser Arbeit genau die Dinge missachte, die sowieso bereits so stark angegriffen wurden – nämlich damit auch wieder auf ihre Person überzugreifen. Was mich nach wie vor dazu bewegt, das Projekt öffentlich zu zeigen, ist, dass ich bemerkt habe, dass es noch zu wenige Erzählstränge über diese Zeit gibt, die sich nicht damit zufrieden geben die bereits stigmatisierten Begriffe wie “Gefängnis”, oder auch “DDR”, weiterhin vereinfacht zu füttern, oder aber diesen Teil Zeit verleugnen und schönreden, beziehungsweise gar nicht wahrhaben wollen. Insofern ist es wichtig sich selber auch damit auseinanderzusetzen und ein eigenes Verständnis zu erarbeiten. Eigentlich ist es erschreckend, wenn ich daran zurückdenke wie wenig ich wusste bevor ich die Gespräche mit meiner Mutter und meine eingehendere Auseinandersetzung mit der DDR begonnen habe. Passiv hat dieses Thema immer eine Rolle gespielt, aber eben nicht aktiv: es ist nie ein Tabu gewesen, aber wirklich gewusst habe ich auch nichts. In gewisser Weise war dieses Unwissen und die Stille um dieses Thema eben aber doch ein sehr starker Einfluss. Immer wieder hat man Fetzen verstanden, aber richtig materialisieren konnte es sich nicht. Viel dieser Vergangenheit liegt in der Luft und geht natürlich als etwas passiertes in die Gegenwart ein. Ich glaube schon, dass sich bestimmte Dinge auch auf die nächste Generation übertragen – auf welche Art auch immer.
5. Du wurdest 1989 geboren, in dem Jahr, als die Mauer gefallen ist und hast demnach die DDR und das geteilte Deutschland nicht mehr miterlebt. Wie hat dir dein Projekt dabei geholfen, dieses deutsche Trauma besser zu verstehen?
Ich glaube, es ist sehr schwierig die DDR als “deutsches Trauma” zu bezeichnen. Eine Sache, die ich in diesem Projekt sehr klar verstanden habe, ist, dass man mit solchen Begriffen sehr vorsichtig umgehen muss. Weil sich so ganz klar die Dinge nicht trennen lassen und man insbesondere als zum großen Teil Außenstehender einen anderen Blickwinkel hat. Spricht man insgesamt von der gewaltsamen Trennung des Landes in zwei Staaten kann man vielleicht schon von einem “deutschen Trauma” sprechen – trotzdem bleiben bei so einer Bezeichnung noch sehr viele Fragen offen. Ansonsten muss man sicher genauer auf Einzelfälle schauen, schließlich ist es am Ende ja doch der Einzelne, der diese Geschichte mit sich und seiner Umgebung ausmacht – ob er nun den Staat als solches personalisieren möchte oder nicht. Natürlich ist es sehr interessant zu beobachten welche Meinungen sich öffentlich bilden und festigen. Besonders das diesjährige Jubiläum hat noch ein mal Platz für Veröffentlichung von Material und Äußerungen ermöglicht.
6. Welche Unterschiede siehst du heute noch zwischen Ost- und Westdeutschland? Ist die Grenze schon aus allen deutschen Köpfen verschwunden oder hast du bei deinen Recherchen auch gegenseitige Vorurteile gegenüber dem alten West- und Ostdeutschland erlebt?
Ein Element, was mir in der Vergangenheit des öfteren aufgefallen ist, ist eine Art Minderwertigkeitskomplex in Ostdeutschland. Auch wenn ich persönlich das Gefühl habe, dass sich das mittlerweile etwas verläuft. Vorurteile gibt es sicherlich nach wie vor. Ob nun ironisch hervorgebracht oder ernsthaft. Ein großes Thema ist hier zum Beispiel auch das in den letzten Monaten aufgetauchte Phänomen “Pegida”, das sehr stark als “ostdeutsches” Problem analysiert wird. In meinen Recherchen selbst ist mir bis jetzt noch nicht sehr viel klares Vorurteilsdenken begegnet. Viel eher einfach Unwissen und das nicht selten auf beiden Seiten. Nur der saarländische Investor, der aus dem Gefängnisgebäude ein Geister-Erlebnis-Hotel machen wollte, wurde ganz klar als “Wessi” bezeichnet.
7. Du hast Hoheneck für dein Projekt besucht. Wie wirkt es heute auf dich, vor allem mit dem Wissen, das du von deiner Mutter bekommen hast? Wie sind deine Eindrücke von diesem Ort?
Wie es einem oft an historischen Orten geht, ist man hin- und hergerissen zwischen seiner banalen Gegenwart und der Vorstellung von einer Vergangenheit, an die man durch einen bloßen Besuch nicht herankommt. Am Ende zählt hauptsächlich was sich durch Worte, Tonalitäten und Gesten überträgt, und auch das können immer nur Fragmente sein. Was das für mich ausmacht, merke ich beispielsweise daran, dass ich je näher ich Stollberg komme, immer unruhiger werde. Da das Gebäude noch nicht zur Gedenkstätte umgestaltet wurde – und das auch nur zu einem kleinen Teil überhaupt passieren wird – ein großer Teil wurde in diesem Frühjahr entkernt um einer Erlebniswelt für Kinder Platz zu machen – ist es kaum historisiert und lässt einen sozusagen mit den Eindrücken alleine. Zum Arbeiten ist das natürlich sehr gut.
8. Wie geht es deiner Mutter mit diesem Projekt? Ist sie stolz darauf, dass ihre Geschichte erzählt wird?
Meine Mutter hat das Projekt befürwortet. Es ist aber auch ganz klar, dass ich es aus meiner Perspektive als Tochter erzähle. Sie selber wollte nie öffentlich darüber sprechen. Sie hat verschiedene Gründe dafür, die ich aber nicht für sie aussprechen kann.
9. Und zu guter letzt: Dürfen wir fragen, an welchem Projekt du gerade arbeitest? Was denkst (und hoffst) du, das 2015 für dich bereit hält?
Ich arbeite an sehr vielen verschiedenen Dingen. Auch dieses Projekt ist nach wie vor eine Baustelle für mich, auch wenn es durch die Ausstellung im Deutschen Haus ein paar gute Schritte nach vorne gegangen ist. Ideal wäre es, sich ein mal einen guten Abschnitt Zeit dafür nehmen zu können um sich nur darauf zu konzentrieren. Ansonsten hoffe ich, dass sich weiterhin viele interessante Bekanntschaften ergeben. An dieser Stelle würde ich auch sehr gerne ein paar Dankesworte an die Menschen ausdrücken, die, außerhalb des Deutschen Hauses für das Projekt unglaublich wichtig waren: Gabriele Stötzer, Francois, Fabian, Hannes & Michael.